Grußwort von Sven Wolf beim ersten Remscheider CSD
Der erste CSD in meiner Heimatstadt. Das macht mich
unglaublich Stolz und glücklich. Danke an das engagierte Team, das dies heute auf
die Beine gestellt hat.
Foto: Thomas Wunsch
Hallo zusammen,
zunächst ein herzlicher Gruß an alle, die heute hier sind und den ersten CSD in Remscheid feiern! Der erste CSD in meiner Heimatstadt. Das macht mich unglaublich Stolz und glücklich. Danke an das engagierte Team, das dies heute auf die Beine gestellt hat.
Seit vielen Jahren engagiere ich mich für meine Heimatstadt. Oft werde ich gefragt: „Warum machst Du das?“ – Weil mir diese Stadt am Herzen liegt. Weil ich – wie jeder von uns – mit verschiedenen Sichtweisen und Einstellungen auf diese Stadt schaue.
Genau diese verschiedenen Sichtweisen oder besser diese Vielfalt steht heute im Mittelpunkt.
Ich selbst schaue auf diese Stadt als Remscheider, als gläubiger Christ, als gelernter Jurist, als Abgeordneter und Sozialdemokrat und als schwuler cis Mann.
Alles das prägt meine eigene Sichtweise.
Vor vielen Jahren lag ich lange im Krankenhaus. Mit einem meiner Bettnachbar gab es dabei interessante Gespräche. Etwa über unseren gemeinsamen Glaube, der uns Halt gab. Als er nach meiner Frau fragte, sagte ich „ich bin schwul“. Dann war es erstmal Still. Dann sagte er: „du sprichst aber gar nicht so“. Am Ende haben wir beide darüber gelacht. Diese kleine Geschichte zeigt, welche Sichtweisen es auch gibt. Diese können wir ändern, wenn wir uns begegnen und miteinander sprechen.
Wenn ich heute sehe, dass in der Wellte und der gelben Villa sich queere Jugendgruppen treffen, dann macht mich das Stolz.
Vor 22 Jahren – also 2001 – lernte ich den damals neuen Beigeordneten für Jugend kennen. Damals fragte ich, was er für Angebote für queere Jugendliche plane. Er sagte: „ist das heute denn noch nötig? Das sollte doch kein Problem mehr sein.“
Meine Antwort hat Dich, lieber Burkhard, glaube überrascht: Wenn das Coming-Out ohne Probleme läuft wie bei mir, dann ist das wirklich kein Problem.
Bis zum Jahr 2014 folgten viele weitere Gespräche mit der AGOT und den Jugendzentren. Dann organisierte die AGOT erstmals einen Fachtag des Bergischen Städtedreiecks mit der Beratungsstelle „gerne anders“. Seit 2016 jährliche am 17. Mai Aktionen der AGOT und des Jugendrats zum Tag gegen Homo- und Transphopie.
Immer wieder kam die Fachstelle „gerne anders“ nach Remscheid sprach mit den Jugendzentren oder dem Jugendrat. Und nun gibt es auch hier queere Jugendgruppen. Ein langer Weg, bei dem es Ausdauer und Mut brauchte. Der sich aber gelohnt hat. Denn heute demonstrieren und feiern wir beim 1. CSD in Remscheid.
Manche andere Entwicklung brauchte auch Ausdauer und Mut. Lasst mich noch einen kurzen Blick auf die strafrechtliche Verfolgung Homosexuelle Menschen in unserem Land werfen.
Erst 1994 – also vor fast 30 Jahren – wurde der § 175 endgültig aus dem Strafgesetz gestrichen. Ein Paragraph der unendlich viel Leid brachte. Die Abschaffung konnte aber die Schicksale nicht ungeschehen machen. Daher war es wichtig, dass auch die Urteile, die in der Bundesrepublik gefällt wurden, durch den Bundestag 2017 aufgehoben wurden und Verurteilte Entschädigungen bekommen können.
Wir dürfen diese Geschichte und diese Schicksale nicht vergessen und müssen sie weiter aufarbeiten. Besonders haben mich die Schicksale der Männer erschüttert, die Konzentrationslager überlebten, Entschädigungen beantragten und dann erneut verfolgt wurden.
Als Jurist bin ich dabei besonders angewidert von der perfiden Stringenz zur NS Zeit, die sich in den Anfangsjahren des Bundesrepublik zeigte.
Noch 1957 behauptete das Bundesverfassungsgericht die Verfolgung Homosexueller stünde im Einklang mit dem Grundgesetz. Ein unglaubliches Urteil, das von Vorurteilen trieft und unsägliche Ausführungen über den Sexualtrieb macht.
Im Urteil fehlt aber die Gegensicht und der Widerstand gegen das Gesetz.
Einer ihrer führenden Köpfe dagegen war der Begründer des wissenschaftlich-humanitären Komitees, Magnus Hirschfeld. Hirschfeld richtete eine Petition an den Reichstag, der schon 1898 darüber diskutierte.
Kein geringerer als der sozialdemokratische Parteivorsitzende August Bebel unterstützte diese Petition und forderte gemeinsam mit vielen seiner Kollegen eine Aufhebung des § 175 StGB.
Bebel beklagte, mit dieser Norm seien Polizei und Justiz für Willkür Tür und Tor geöffnet. Er befürchte, die Sittenpolizei werde Listen führen, um Personen unter Druck zu setzen. – Wie recht er behalten sollte. Leider bis in die 1950 und 1960er Jahre hinein. Aus dieser Zeit gibt es unzählige Beispiele, bei denen Gerüchte genügten, um Karrieren und Existenzen zu zerstören.
Justiz und Rechtsprechung haben sich auf einem langen Weg geändert. Heute ist das Bundesverfassungsgericht beinahe ein Vorkämpfer für die Rechte von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Urteile wie 1957 sind hoffentlich nicht mehr zu erwarten.
Aber: Toleranz und Respekt vor anderen Lebensentwürfen brauchen lange bis sie sich in unseren Köpfen verankeren und tief in der Gesellschaft verwurzelt sind. Denn wir alle schauen mit unserem ganz eigenen Erfahrungen und Sichtweisen – auch mit unseren eigenen Vorurteilen – auf unsere Nachbarn und auf unsere Stadt.
Manche vergessen, dass niemand mit seiner Sicht alleine ist. Die Hetze und der Hass, der uns durch die Gegendemos entgegen prallt erschreckt mich und zeigt wie wichtig die heutige Demo zum CSD ist! Lasst uns heute, morgen und jeden Tag für Respekt und Toleranz in unserer Stadt kämpfen! – Happy Pride!