Auf dem Weg zu einem Unternehmensstrafrecht für Deutschland
„Am 10. Dezember wurde mir die Ehre zu teil, bei der Dortmunder Juristengesellschaft einen Vortrag zu halten. Bei einem Blick in die Liste der bisherigen Referentinnen und Referenten hatte ich schon Respekt“ so Sven Wolf
„neben zahlreichen Justizministerinnen und -ministern sprachen so renomierte Wissenschaftler wie Prof. Karsten Schmidt oder Prof. Udo di Fabio dort. Eine besondere Herausforderung als einfacher Anwalt und Abgeordneter dort zu sprechen. Nachfolgend finden sich gekürzte Auszüge aus meinem Beitrag:“
Stand der Debatte
Nordrhein-Westfalen hat bei der Justizministerkonferenz in Berlin den „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden“ vorgestellt. Justizminister Thomas Kutschaty war zu Recht stolz darauf, dass die nordrhein-westfälische Landesregierung einen der größten Gesetzentwürfe im Bereich des Strafrechts vorgelegt hat, den jemals ein Bundesland erarbeitete.
Nicht nur im anglo-amerikanischen Rechtskreis, sondern auch in Kontinentaleuropa hat inzwischen so gut wie jeder Staat ein Unternehmensstrafrecht. Nur Deutschland nicht. Alle unsere Nachbarn in Kontinentaleuropa achten das Schuldprinzip genauso wie wir als Ausdruck der Menschenwürde. So geben es uns der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und das Bundesverfassungsgericht auch vor. Daran ist nicht zu rütteln. Mit der Frage nach dem Unternehmensstrafrecht hat das aber rein gar nichts zu tun. Unternehmen haben zwar ein Persönlichkeitsrecht, das haben sie sich inzwischen vor den Zivilgerichten erstritten. Sie haben einen Anspruch auf ein faires Verfahren und auf Achtung ihrer Grundrechte im Rahmen der Verhältnismäßigkeit. Sie haben aber keine Menschenwürde.
In Deutschland werden bislang Vergehen von Unternehmen im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenrechts geahndet. So mancher Anwaltskollegen spricht von einer „Mogelpackung“, wenn es um das Recht der Ordnungswidrigkeiten geht. Strafverteidiger sind mit den Verteidigungsmöglichkeiten in Bußgeldverfahren nämlich alles andere als zufrieden und argumentieren, dass das Verfahrensrecht bei drohenden Millionenbußen nicht fair und angemessen sei. Sie verlangen für ihre Mandanten zumindest im Kartellverfahren denselben Schutz wie im Strafverfahren. Auch hier nähern sich Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht de facto längst einander an.
Brauchen wir also ein Unternehmensstrafrecht? Was spricht dafür, was spricht dagegen?
Lassen sich mich zunächst einige allgemeine Fragen an den Anfang stellen: Wenn Banken Beihilfe zur Steuerhinterziehung zum Geschäftsmodell machen, wenn Bespitzelung und Produktpiraterie den Unternehmen und dem Standort Deutschland schaden, müssen wir uns schon fragen, wie wir als Staat darauf reagieren.
Ein wesentlicher Einwand gegen ein neues Unternehmensstrafrecht ist dann auch: Wir haben doch unser Ordnungswidrigkeitenrecht. Das funktioniert prima. Das Bußgeld kann inzwischen bis zu 10 Millionen Euro betragen und neben die Gewinnabschöpfung treten. Daneben hat der Koalitionsvertrag im Bund vorgeschlagen, das Ordnungswidrigkeitengesetz auszubauen. Präventive Maßnahmen bis hin zur Betriebsschließung sind im Kapitalmarktrecht, Wettbewerbsrecht und Umweltrecht ausreichend vorhanden. Dem ist aus mehreren Gründen entgegenzutreten.
Wir bemessen Geldstrafen im Strafprozess aus guten Gründen an den persönlichen Verhältnissen der Beschuldigten. Bei Unternehmen scheuen wir davor zurück. 10 Millionen Euro sind für einen DAX-Konzern immer noch ein sehr überschaubares Risiko. Für den Mittelständler könnten sie hingegen existenzvernichtend sein. Klare Strafzumessungsregeln sucht man im Ordnungswidrigkeitenrecht für Wirtschaftsvergehen vergeblich. Ich meine, eine Sanktion muss ertragsbezogen, und zwar nach Tagessätzen berechnet werden, so wie im Strafrecht.
Wie wirken die bisherigen Regelungen?
Es gibt eine Kieler Dissertation aus dem Jahre 2011, für die Vertreter von 45 größeren deutschen Schwerpunktstaatsanwaltschaften aus den Bereichen Wirtschaft und Korruption zur Anwendung und Effizienz des § 130 OWiG befragt wurden. Ergebnis – ich zitiere: „Von der Literatur als effektiv gepriesen zeigt die Rechtswirklichkeit dagegen, dass der Tatbestand des § 130 OWiG im Bereich der Wirtschaftsdelinquenz ein Schattendasein führt“.
Modernes Strafrecht muss am Ende immer auf die Vermeidung von Straftaten zielen und nach Möglichkeit Anreize dazu setzen, Straftaten in Unternehmen aktiv vorzubeugen. Hier greift das Recht der Ordnungswidrigkeiten aus meiner Sicht deutlich zu kurz. In der Praxis werden Compliance-Programme, die erst während oder nach der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens eingeführt oder verschärft werden, nur in Ausnahmefällen bei der Bemessung der Bußgelder berücksichtigt. Das ist nicht sinnvoll, wenn man erreichen will, dass Prävention zum allgemeinen Bestandteil von Unternehmenskultur wird.
Das Bußgeldrecht kennt – anders als das Strafrecht – nicht die Möglichkeit, gegen Auflagen und Weisungen von einer Sanktion abzusehen oder sich Sanktionen für eine Bewährungsfrist vorzubehalten. Warum soll ein Unternehmen nicht Gelegenheit bekommen, seine Präventionsinfrastruktur nachzubessern und das dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft nachzuweisen. Für Menschen gibt es Bewährungsauflagen, warum nicht auch für Unternehmen?
Was plant der Bund?
Es freut mich daher sehr, dass auch das Thema Unternehmensstrafrecht Einzug in den Koalitionsvertrag gefunden hat. Hier heißt es, ich zitiere: „Mit Blick auf strafbares Verhalten im Unternehmensbereich bauen wir das Ordnungswidrigkeitenrecht aus. Wir brauchen konkrete und nachvollziehbare Zumessungsregeln für Unternehmensbußen. Wir prüfen ein Unternehmensstrafrecht für multinationale Konzerne.“
Fazit aus Österreich
Ein Blick nach Österreich zeigt, welche weiten Auswirkungen die dortige Einführung des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes hatte. Das vorläufige Fazit aus Österreich: Verbesserte Selbststeuerung unabhängig von der Verfahrenshäufigkeit, in den Unternehmen mehr Einfluss für das Qualitätsmanagement, größere Vorsicht bei den Banken und in der Lebensmittelproduktion, sorgfältigere Logistik im Transportwesen, bessere Durchsetzbarkeit von Ansprüchen gegen Großunternehmen. Ich kann nichts Schlimmes daran finden! Die Österreicher offenbar auch nicht.
Entwurf der nordrhein-westfälischen Landesregierung
Im Entwurf der Landesregierung geht es im Wesentlichen um Folgendes:
- Die Staatsanwaltschaften werden verpflichtet, Straftaten von Unternehmen aufzuklären und ggfs. anzuklagen. Er wird das Legalitätsprinzip festgeschrieben. Bei Vorliegen eines Anfangsverdachts muss die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren einleiten.
- Die Gerichte können diese Taten flexibel und effektiv ahnden, indem sie einen Koffer mit breitgefächerten Sanktionsmöglichkeiten erhalten. Die Geldstrafen werden nach Tagessätzen berechnet, die von der Ertragskraft des Unternehmens abhängig sind. Die Obergrenze liegt bei 10 % vom Jahresumsatz. Mögliche Strafen sind auch der Ausschluss von Subventionen oder von öffentlichen Aufträgen und als ultima ratio natürlich auch die Auflösung des Unternehmens. Die Verurteilung kann auch öffentlich bekannt gemacht werden, wenn eine Vielzahl von Personen geschädigt wurde.
- Unternehmen, die verlässliche Compliance-Strukturen schaffen, sollen davon profitieren, indem dies bei der Strafzumessung berücksichtigt wird. Das kommt insbesondere dann in Betracht kommt, wenn strukturelle Verbesserungen nachgewiesen werden und Schadenswiedergutmachung erfolgt. Dafür kann eine „Bewährungsfrist“ eingeräumt werden. Es kann sogar von einer Strafe abgesehen werden, wenn das Unternehmen Aufklärungshilfe leistet und ausreichende organisatorische oder personelle Maßnahmen eine Wiederholung ausschließen. Offene Zusammenarbeit mit den Staatsanwaltschaften ist also auch der beste Schutz eines betroffenen Unternehmens, wenn ein einzelner Mitarbeiter eine Straftat begeht.
- Die rechtskräftige Verurteilung eines Unternehmens wird dazu beitragen, dass das geschädigte Unternehmen Schadensersatzansprüche einfacher als bislang realisieren kann, da das geschädigte Unternehmen auf die Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft zurückgreifen kann.
Wenn Sie diesen Gesetzentwurf betrachten, werden Sie feststellen, die Verfasser dieses Entwurfs wollen die Lobby der ehrlichen Unternehmen sein!