„Mit bleibenden Eindrücken und Erinnerungen kam ich zurück“
Ein persönlicher Bericht des Remscheider Landtagsabgeordneten Sven Wolf.
„Informationsfahrt des Rechtsausschusses nach Israel und in die palästinensischen Gebiete“ – mit diesen nüchternen Worten war unsere Fahrt überschrieben. Dahinter verbarg sich aber eine facettenreiche und spannende Reise mit interessanten und hochkarätigen Gesprächspartnern. Es versteht sich von selbst, dass es etwas besonderes ist, wenn eine Delegation aus Deutschland zu einem offiziellen Besuchsprogramm in den Nahen Osten reist.
Gedenkstätte und Museum Yad Vashem
Obwohl uns allen die Fakten dieses auch heute noch unerklärlichen Verbrechens gegen die Menschlichkeit bekannt sind, entsteht bei einer Auseinandersetzung in der zentralen Gedenkstätte Yad Vashem nochmal ein anderer Blick auf den Holocaust. Die Architektur und das Konzept des Museums ergänzen sich in einer gelungenen Art und Weise, um die Zeit vor, während und nach dem Holocaust, darzustellen.
Am Mittelpunkt des Rundgangs betraten wir einen Raum, in dem Filmaufnahmen der Befreiung des KZ-Auschwitz gezeigt wurden. Aufnahmen, die ich selbst schon häufig gesehen hatte und die immer wieder Beklemmung auslösen. Neben uns stand eine Gruppe junger Israelis, die verstört und erschrocken auf die Bilder der Leichenberge blickten, viele von ihnen weinten. Ich spürte den Kloß in meinem Hals und die Tränen in meinen Augen. In diesem kurzen Augenblick wurde mir nochmals deutlich: Auch wenn meine Generation keine Schuld trägt und die jungen Israelis selbst nicht mehr direkte Opfer waren, so bleibt doch eine enge Verbundenheit. So wie Johannes Rau mit bewegenden Worten vor der Knesset im Jahr 2000 um Vergebung bat – nicht nur für ihn und seine Generation, sondern um der Kinder und Kindeskinder willen, die er an der Seite der Kinder Israels sehen wollte. Bei der anschließenden Kranzniederlegung im Namen der Präsidentin des Landtags von Nordrhein-Westfalen war ich in Gedanken immer noch bei den Tränen der jungen Israelis, denen ich kurz zuvor begegnet war.
Rechtliche und politische Fragen
Auch wenn das zentrale Thema der israelischen Politik die Frage der Sicherheit bleibt, so spürten wir zu keinem Zeitpunkt ein Gefühl der Unsicherheit. Wie vielschichtig die Probleme zwischen Israel, den palästinensischen Gebieten und den arabischen Nachbarstaaten sind, erfuhren wir in den kommenden Tagen. Bereits der Bau einer Straßenbahn zwischen West- und Ost-Jerusalem hatte in den vergangenen Jahren heftige Debatten ausgelöst. Daneben blieb die Ambivalenz innerhalb des israelischen Staates nicht verborgen. Auf der einen Seite Tel Aviv, ein weltoffener und moderner Badeort, und auf der anderen Jerusalem, die heilige Stadt, in der sich auf engstem Raum Heiligtümer der drei Weltreligionen berühren.
Am zweiten Tag standen für uns Besuche des obersten Gerichts und des israelischen Parlaments, der Knesset, die auf der Basis alttestamentarischer Überlieferung 120 Mitglieder vereint, auf der Tagesplanung. Unter den Abgeordneten sind auch muslimische und christliche Israelis. Einen interessanten Einblick in die Arbeit und Aufgaben des obersten Gerichts gab uns Richter Danziger, der vor seiner Berufung in das höchste Gericht als Anwalt tätig war. Aus ihm und seinen 14 Richterkolleginnen und Kollegen setzt sich das Gericht zusammen, das jährlich 10.000 Fälle aus dem Zivil-, Straf- und Verwaltungsrecht bearbeitet und als Verfassungsgericht fungiert. Das Gericht arbeitet im 1992 neu erbauten Gebäude in Sichtweite zum Parlament.
Rechtlich bemerkenswert ist das fehlen einer Zivilehe, so dass Eheschließungen ausschließlich vor den jeweiligen religiösen Institutionen und somit nicht interreligiös erfolgen können. Scheidungen sind somit sowohl vor weltlichen als auch religiösen Gerichten möglich. Manches Mal dauern die Entscheidungen des obersten Gerichts bei der Überprüfung von Gesetzen der Knesset lange. In vielen Fällen nimmt das Gericht Rücksicht auf laufende parlamentarische Beratungen. Etwa bei der Frage der Privatisierung von Gefängnissen, die erst nach vier Jahren entschieden wurde. Das oberste Gericht urteilte, dass ein Teil des Strafvollzuges in staatlicher Hand bleiben müsse.
Die Rechtsberater der Knesset erläuterten uns ihre Arbeit und eine für uns deutsche Parlamentarier unbekannte Institution. Die Rechsberater fungieren mit 45 Anwälten als unabhängige Dienstleister der Abgeordneten. Bei Gesprächen an der Universität Tel Aviv erfuhren wir, wie bereits Jurastudentinnen und Jurastudenten in verschiedenen Legal Clinics unter Anleitung von Anwältinnen und Anwälten praktische Erfahrungen schon während der Studienzeit sammeln können.
Neben diesen großen Unterschieden bei rechtlichen und parlamentarischen Fragen, fanden wir beim Besuch des Jugendgefängnisses in HaSharon auch Ähnlichkeiten zu Vollzugsideen in NRW. Die intensive Arbeit mit den jugendlichen Gefangenen und die zahlreichen Bildungsangebote sind teilweise vergleichbar mit dem Resozialierungs- und Erziehungsgedanken des Jugendstrafvollzuges bei uns.
Ein Tag in den palästinensischen Gebieten
Bereits früh morgens starteten wir am letzten Tag unserer Reise zum wohl spannendsten Teil der Informationsfahrt in die palästinensischen Gebiete. Auch hier standen Gespräche mit Richtern, Menschenrechtsorganisationen und Abgeordneten des dortigen Legeslativrates auf dem Programm.
Die Vertreterin des IHCR, der zuständig für die Überwachung der Menschenrechte in der Westbank und im Gaza Streifen ist, schilderte uns eindringlich die Schwierigkeiten, die mit der politischen Teilung der Gebiete entstanden waren. Die jährlichen Berichte werden unmittelbar Präsident Abbas vorlegt und veröffentlicht. Hierin werden Einzelfälle detailliert erläutert mit der Hoffnung, dass sich die Menschenrechtslage verbessert.
Die Richter des höchsten Gerichts in Ramallah sehen sich ähnlich wie in Israel der Konkurrenz zwischen weltlichen und religiösen Gerichten ausgesetzt. Auch hier ist die Belastung der Gerichte mit Eingaben und Fällen ähnlich hoch wie am höchsten Gericht in Israel. Der Abgeordnete des Legislativrates warb in seinem Vortrag eindringlich für die Sichtweise der Palästinenser und prangerte mit deutlichen Worten den fortschreitenden Siedlungsbau Israels an.
Es wurde gerade hier deutlich, wie schwer und sicherlich auch langwierig der Weg zu einem friedlichen Zusammenleben im Nahen Osten sein wird.