Vor 100 Jahren. – „Am 1. August war der Krieg da.“
Zu den Ereignissen vor genau 100 Jahren notierte mein Urgroßvater Ernst Zulauf in seinen persönlichen Aufzeichnungen im Jahr 1959:
„Am 01. April war ich von Wermelskirchen nach Remscheid übergesiedelt. Am 1. August war der Krieg da. Was hatten die Sozialisten der europäischen Länder, besonders die deutschen und französischen, zur Verhinderung dieser furchtbaren Katastrophe tun können und getan? Nach den Baseler Beschlüssen waren sie zu gemeinsamen Widerstand verpflichtet gewesen. Nun, geschwiegen haben sie auch nicht. Aber ihre Stimmen versanken in den Revanchegeschrei der französischen und Säbelrassen der deutschen Nationalisten und Kriegstreiber.“
2. August 1914
„Am zweiten Tag der Mobilmachung des deutschen Kriegsheeres hatte ich mich beim Landwehrbezirk Kommando in Lennep zu melden. So stand es auf dem roten Zettel in meinem Militärpass. Oh ja – die deutsche Kriegsmaschine funktionierte gut! Mit noch etwa 40 anderen Anwärtern auf den „süss-ehrenvollen Tod fürs Vaterland“ wurde ich dort in einen Güterwagen der Eisenbahn geladen, und einem keinem von uns bekannten Ziel zugeführt. […] Meine Fahrtgenossen waren zum Teil Dienstkameraden aus der aktiven Dienstzeit. Also auch ungefähr Altergenossen. Alle oder fast alle waren Unteroffiziere, auch Vizefeldwebel und Unteroffizier. Aber sonst waren sie sehr verschieden. Einige kannte ich als Genossen von meiner, der sozialdemokratischen Partei. […] Die Fahrt ging von Lennep über Hagen-Siegen immer südwärts. Ich weiß nicht mehr wie lange sie gedauert hat. […] Da ist schon Darmstadt, die Residenz der Hessengroßherzöge. Große Getümmel auf dem Bahnsteig! – Was ist da los? – Wer schreit und wem gilt das Hoch und Hurra? – Einer weiß es schon, er ist ausgestiegen und ruft es in die weit offene Waggontür: „Der Prinz Oskar von Preußen auf dem Bahnsteig!“ – „Soeben einem Attentat glücklich entkommen“ will ein anderer wissen! – „Alles aussteigen!“ – Ach merkt ihr denn nichts? Merkt ihr denn noch nicht Zweckcharakter aller dieser Greulgerüchte? – „Ja, aber das ist doch die Höhe! Diese Flaumacher sollte man billigerweise verprügeln!“ Alle steige aus, so was lässt sich doch kein Deutscher entgehen. – Auch nicht, wenn er Sozialdemokrat war! – Nein, dann erst recht nicht. Er ist jetzt nur noch Deutscher! – Zwei steigen nicht aus. – Ein christlicher Kamerad und Jugendfreund aus dem Hünger. Er ist ein Opfer des Krieges geworden. „Auf dem Felde der Ehre gefallen“ hat man auch ihm nachgerufen. – Er hat es nicht so aufgefasst. Der andere war ich.“
Nach 1945
Mein Urgroßvater zog die Konsequenzen aus den Erlebnissen des Krieges und beschrieb seine innere Zerrissenheit über die Entscheidung der SPD. Er trat in die USPD ein und folgte ihr auch als diese in der KPD aufging. Er wurde später aus der KPD ausgeschlossen. Nach dem Krieg unterstütze er meine Heimatstadt Remscheid beim Wiederaufbau und wurde sodann zum Dezernenten für „Wohlfahrts-, Jugend- und Flüchtlingswesen“ berufen. Auf eigenen Wunsch schied er im Alter von 73 Jahren aus diesem Amt aus. Am 24. November 1960 im Alter von 82 Jahren starb mein Urgroßvater in Remscheid.
Weitere Informationen
zu Ernst Zulauf finden sich in der Biographischen Datenbank der Bundesstiftung Aufarbeitung