Rede im Plenum: NRW muss Masterplan gegen Rechtsextremismus umsetzen
Erneut wurde eine rechtsextreme Chatgruppe in den Polizeibehörden entdeckt. In der Landtagsdebatte am letzten Donnerstag, dem 18. September, habe ich dazu gesprochen. Meine Rede können Sie hier nachverfolgen.
Foto: Bernd Schälte
NRW muss Masterplan gegen Rechts umsetzen. #Polizeiproblem
Erneut wurde eine rechtsextreme Chatgruppe in den Polizeibehörden entdeckt. Sven Wolf fand in der Debatte um Innenminister Reul dazu genau die richtigen Worte. #Polizeiproblem #LTNRW
Gepostet von SPD-Landtagsfraktion NRW am Donnerstag, 17. September 2020
Meine Rede im heutigen Plenum:
Sven Wolf (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wir reden heute über Vertrauen, über nichts anderes. Es geht um das Vertrauen in unsere Polizei und in unsere Justiz. Ich will es direkt zu Beginn sagen: Mein Vertrauen in unseren Rechtsstaat ist nicht erschüttert. Dass wir Demokraten heute hier im Parlament öffentlich über diesen Fall diskutieren, zeigt, wie stark unsere Demokratie ist.
Ich weiß auch, dass viele Kolleginnen und Kollegen bei der Polizei und der Justiz heute ebenfalls diskutieren, dass so etwas nicht vorkommen darf. Uns schreiben heute viele aufrichtige Beamte, die sich
Sorgen um das Ansehen aller rechtschaffenen Kolleginnen und Kollegen machen. Das muss auch für uns alle unerträglich sein; denn diese Beamten sind es, die jeden Tag in Problembezirken unseres Landes ihre Knochen hinhalten, sich beschimpfen lassen, angreifen lassen. Ihre Arbeit hat unsere Wertschätzung verdient.
Deswegen ist Maßstab der SPD-Fraktion, dass wir politisch alles tun müssen, um den Beamten auf der Straße, die nichts mit den Vorwürfen zu tun haben, den Rücken zu stärken. Da haben wir gemeinsam noch sehr viel zu tun. Das Erste und Wichtigste ist es, einen wirklichen Überblick zu bekommen: Wie groß ist das Problem im Land? Meine Damen und Herren, das ist unsere Aufgabe.
Nach den furchtbaren und menschenverachtenden Anschlägen eines Rechtsextremisten in Hanau im Februar dieses Jahres haben wir als SPD-Fraktion einen Masterplan gegen rechts vorgelegt und diesen auch als Antrag in das Plenum eingebracht. Anfang Oktober wird er mit vielen Sachverständigen im Hauptausschuss diskutiert. Leider muss ich heute feststellen, dass unser Antrag nichts, aber auch gar nichts an Aktualität verloren hat. Wir haben darin schon damals zahlreiche Ideen und Maßnahmen aufzeigt, wie rechtsextreme Einstellungen auch in der Polizei bekämpft werden können.
Ich will zwei Beispiele zitieren: „Unsere Sicherheitsbehörden müssen für rechtsextreme Einstellungen und Taten stärker sensibilisiert werden, z. B. durch eine/n Antisemitismusbeauftragte/n und/oder Antirassismusbeauftragte/n beim Landeskriminalamt, der/die … die Themen Aus- und Fortbildung vorantreibt“.
Oder:
„Beim Landeskriminalamt ist nach dem Vorbild der Bundesländer Hessen und Berlin eine zentrale Stelle einzurichten, bei der rechte Vorfälle in Sicherheitsbehörden gemeldet werden können.“
Hier geht es nicht um politische Taktik. Hier geht es um etwas ganz Fundamentales, nämlich um das Vertrauen in unseren Staat. Da muss es völlig egal sein, von wem die klügste und beste Idee kommt. Diesen Antrag haben wir vor einem halben Jahr eingereicht. Herr Reul, Sie haben gerade gesagt: Ich weiß auch noch keine genaue Lösung. – Wir haben Ideen angeboten. Ich frage mich aber: Was hat Sie bisher davon abgehalten, kluge Ideen, die wir auf den Tisch gelegt haben, gemeinsam zu diskutieren?
Nach Ihren Interviews gestern meine ich, dass wir da zu einem vernünftigen Umgang kommen müssen. Wenn Sie alle, die eine andere Meinung haben, die eine andere Idee auf den Tisch legen, direkt als Schlaumeier diskreditieren, dann lassen Sie uns das doch einfach mal weglassen.
Eine Frage muss ich dann auch stellen: Noch in der vergangenen Woche haben Sie im Magazin „Westpol“ unseren Vorschlag für einen zentralen Extremismusbeauftragten bei der Polizei abgelehnt. Gestern haben Sie ihn selber installiert. Wo kommt denn dieser Sinneswandel her?
Anzeichen gab es genug. Mai 2019: Flyer der Identitären Bewegung in einem Polizeibus in Duisburg. Sie, Herr Minister Reul, haben dazu gesagt: Das kann nicht sein. – März 2020 die Vorfälle in Hamm. Ihre Reaktion: Das darf sich nicht wiederholen. – Gestern und gerade auch noch einmal sagten Sie: Ich habe nicht geglaubt, dass es eine Dimension hat, wie es sie jetzt hat.
Herr Minister, wenn Sie nun in Ihrer ganz eigenen Art hervorpreschen mit Formulierungen wie „die Zeit des Lamentierens ist vorbei, wir müssen handeln“, so gebe ich Ihnen ausdrücklich recht. Aber die Zeit des Handelns ist schon vor langer Zeit gekommen. Die Vorschläge lagen lange auf dem Tisch. Lassen Sie uns nicht über das Lamentieren lamentieren, sondern endlich gemeinsam handeln.
Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben angekündigt, einen Sonderbeauftragten zu installieren. Einen solchen Extremismusbeauftragten haben wir immer gefordert. Als Sie gestern angesprochen wurden, ob dies jetzt ein spätes Einlenken sei, haben Sie erwidert, nein, der von der SPD vorgeschlagene Beauftragte solle ja koordinieren, überwachen und forschen. Das sei etwas anderes. Dann frage ich Sie, auch nach Ihren Ausführungen gerade: Was soll er denn dann tun? Dieser Sonderbeauftragte braucht starke Kompetenzen. Er muss ein ständiger Sonderermittler sein. Wir unterstützen Sie dabei. Er muss koordinieren, überwachen und die Probleme erforschen. Wir benötigen mehr Erkenntnisse statt Bauchgefühl als Grundlage unseres gemeinsamen Handelns.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen aufhören zu glauben. Wir müssen anfangen zu wissen. Wir brauchen daher ein Lagebild „Rechtsextremismus“ und deswegen eine unabhängige Studie zum Ausmaß der Gefahr. Diese Studie muss jetzt in Auftrag gegeben werden.
Wir müssen auch die Möglichkeit schaffen, Verdachtsfälle aus der Polizei heraus anonym melden zu können. Ich habe keine Angst davor, dass sich Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte dann gegenseitig diffamieren. Denn unsere Beamtinnen und Beamten werden damit genauso sorgfältig umgehen, wie mit dem Rechtsstaat, den wir jeden Tag in ihre Hände legen. Die Beamten wissen, dass es gerade vor dem Hintergrund der Geschichte unseres Landes unerträglich ist, wenn in unseren Sicherheitsbehörden braune Schafe Propagandamaterial austauschen, das der Verfassungsschutz als Hardcore- Rechtsextremisten-Material bezeichnet.
Herr Ministerpräsident, Herr Minister Reul, wenn Sie bisher nicht auf die demokratische Opposition im Parlament hören wollten, dann hören Sie doch wenigstens auf das Internationale Auschwitz Komitee. Das Komitee appellierte an uns alle, endlich eine deutschlandweite Studie in Auftrag zu geben, um gesicherte Erkenntnisse zu gewinnen.
Deshalb fordern wir Sie heute auf: Üben Sie Druck auf den Bundesinnenminister, Herrn Seehofer, aus und fordern Sie ihn auf, endlich eine unabhängige wissenschaftliche Studie über Rechtsextremismus in unseren Sicherheitsbehörden in Auftrag zu geben. Nach einer solchen Studie ist niemand dümmer geworden.
Eine wichtige Lehre aus dem NSU müssen wir ziehen: Wir müssen Debatten öffentlich führen und Probleme ansprechen. Der Landtag, dieses Plenum mit dieser Öffentlichkeit ist genau der richtige Ort dafür, um gemeinsam ein klares Zeichen im Kampf gegen rechts zu setzen.
Es geht nicht nur darum, rechtsextreme Strukturen aufzudecken, sondern es geht vielmehr darum, Strukturen gegen Rassismus einzuziehen. Wie entsteht Rechtsextremismus? Wieso kriecht er in unsere Gesellschaft und in unsere Polizei? – Die demokratischen Politiker und die zivilen Vorgesetzten innerhalb der Polizei haben bei der Beantwortung dieser Fragen eine Vorbildfunktion.
Dabei will ich an die Macht der Sprache erinnern: Sie kriecht sich auf leisen Sohlen in unser Gehirn. Deshalb müssen wir mit unserer Sprache besonders sorgsam umgehen. Das gilt auch, wenn man in Talkshows sitzt oder hier am Rednerpult steht. Es gilt, die Worte mit Bedacht zu wählen – keine unnötige Emotionalisierung. Das gilt für uns alle, aber natürlich auch für Sie, Herr Reul. Ansonsten kapseln sich die Menschen untereinander weiter ab, und das schadet der Sicherheit in unserem Land auf Dauer mehr, als dass es nützt.
Wir müssen den Menschen in unserem Land beweisen, dass sie nicht nur in die Polizei und in die Justiz, sondern auch in uns Vertrauen haben können. Lassen Sie uns deshalb heute gemeinsam ein Signal setzen. Wir dulden keine Nazis in unserer Nachbarschaft und in unseren Vereinen. Und wir dulden erst recht auch keine Nazis in unserer Polizei!
Es geht um den demokratischen Rückhalt für unseren Staat, für unsere Behörden und für unsere Polizei. Unsere Polizei verdient Respekt und Vertrauen. Das erarbeiten wir heute und in den kommenden Wochen im Parlament. Lassen Sie uns das gemeinsam tun. – Vielen Dank.